10 Fragen an Markolf Naujoks
Markolf Naujoks ist Theaterregisseur, Musiker und Autor und arbeitet an verschiedensten deutschsprachigen Theatern. Er entwickelt Inszenierungen zwischen Installation, Konzert und Theater und komponiert dafür Songs und Musik. Seine Stücke fürs Jugendtheater waren für diverse Auszeichnungen nominiert. Markolf Naujoks studierte Philosophie, Germanistik und Klassische Literaturwissenschaft und lebt und arbeitet in Köln. Momentan ist er bei der Produktion «Die Leiden des jungen Werther» am Luzerner Theater tätig.
Lieber Markolf, musstest du «Die Leiden des jungen Werther» in der Schule lesen?
Mir ist der Text in der Schule begegnet und im Germanistik-Studium – aber eher in Auszügen. Deshalb kannte ich zwar den Inhalt, war aber dann beim mehrfachen «richtigen» Lesen sehr überrascht von der Komplexität des Stoffes und beeindruckt von der literarischen Qualität.
Der Roman wurde im 18. Jahrhundert geschrieben. Wieso ist dieses Werk heute noch relevant?
Es gibt ja viele Deutungen und Interpretationsansätze. Die Modernität des Werks besteht für mich vor allem darin, dass der junge Goethe sich hier schonungslos die eigene Schwermut, gescheiterte Beziehungen, Depression (sogar eigene suizidale Tendenzen) vom Leib geschrieben hat. Als würde er mit dem Werther einen Teil seiner selbst abspalten. Es ist ja viel vom jungen Goethe im Werther.
«Die Leiden des jungen Werther» wird am Luzerner Theater in einer Fassung von dir gespielt. Wie war es, mit und an einem so monumentalen Text zu arbeiten?
Mir war es besonders wichtig, den Text gleichberechtigt auf (in unserem Fall vier) Spieler und Spielerinnen aufzuteilen und sie alle die sehr egozentrische Perspektive Werthers auf die Welt spielen und erzählen zu lassen. Dadurch werden seine häufigen krassen Stimmungsschwankungen und seine Impulsivität noch deutlicher. Es ist ja ein vollständig einseitiger Briefroman – nie gibt es einen Brief der anderen Figuren. Lotte und Albert lernen wir nur aus der Perspektive Werthers kennen. Ob sie wirklich so sind, wie er sie beschreibt, lässt Goethe offen. Eingerahmt wird das Stück von Erzähler*innen, die Werthers Leben und Tod wie ein Puzzle zusammensetzen müssen.
Deine Aufgaben bei «Die Leiden des jungen Werther» sind vielfältig: Du hast nicht nur die Fassung geschrieben, sondern bist auch als Regisseur und in der Bühnengestaltung tätig. Zudem bist du für die musikalische Untermalung zuständig. Was schätzt du an diesem interdisziplinären Mitwirken an einem Stück?
Sounddesign, Komposition und Songwriting gehört für mich schon immer zum Inszenieren dazu – das ist mittlerweile ein natürlicher Teil des Arbeitsprozesses. Ich bin kein Bühnenbildner, aber durch die Gestaltung des Raumes durch das Videodesign von Theda Schoppe reicht bei unserer Arbeit oft eine einfache Idee fürs Bühnenbild um grosse und poetische Bilder zu entwerfen.
Worauf können wir uns beim Bühnenbild denn freuen?
Theda Schoppe arbeitet seit einiger Zeit mit 3D-Animationen, die einen grossen Sog entwickeln sollen. Ausgangspunkt unserer Gedanken war eine moderne Übersetzung von Böcklins «Insel der Toten» und Eugen Brachts «Das Gestade der Vergessenheit». Beides Bilder des Symbolismus, die Werther wahrscheinlich gut gefallen hätten.
Kannst du auch schon etwas über die Musik erzählen, die du für «Die Leiden des jungen Werther» geschaffen hast?
Es sind 5 Song(fragmente) entstanden, die von Tini Prüfert am Klavier und Rüdiger Hauffe auf der Klarinette gespielt werden. Songs, die von allen Spieler*innen gesungen werden und vielleicht in unserer Version von Werther geschrieben wurden (im Original ist er ja Maler oder Zeichner). Vielleicht sind es auch nur Songs, die er gerne mag und die eine Stimmung oder Atmosphäre mittragen, die (hoffentlich) gut zu den Texten passt.
In deiner Inszenierung wirst du einen Fokus auf psychische Gesundheit legen, spezifisch der von Jugendlichen. Woher kam die Idee/Motivation, dich auf diese Thematik zu konzentrieren?
Ich glaube, das ist tatsächlich ein Hauptthema des Werthers. Wie gehe ich mit Trauer um? Wie gehe ich damit um, wenn sich die Welt nicht so verhält, wie ich es mir wünsche? Wenn sich meine Ziele, meine Träume nicht verwirklichen? Wie gehe ich damit um, wenn ich merke, dass meine Gedanken immer nur um dasselbe Thema kreisen oder wenn ich an der realen Welt immer weniger Anteil nehme? Durch die Pandemie, den Klimawandel und den Krieg in Europa gibt es viele Zukunftsängste, besonders bei jungen Menschen. Psychische Erkrankungen nehmen ständig zu. Darüber sollte mehr gesprochen werden.
Du arbeitest viel für Jugendtheater, auch dieses Projekt ist eine Kooperation mit der Sparte jung. Was reizt dich am Theater für ein junges Publikum?
Ich glaube, dass man als junger Mensch sehr viel fühlt, sehr viel denkt und noch viel aufnehmen kann und will – das finde ich ein spannendes, sehr direkt reagierendes Publikum, für dass es Freude macht, Theater zu spielen.
Ihr befindet euch bereits im Endspurt bis zur Premiere am 19. Oktober. Wie hast du die Probenarbeit bisher wahrgenommen?
Es fühlt sich an, als hätten wir mit dieser anstrengenden, tollen, übersprudelnden Werther-Figur schon einen grossen Teil seines Weges zurückgelegt und wir freuen uns alle darauf, den Abend fertigzustellen. Ich glaube, wir sind alle sehr dankbar, mit diesem tollen Text arbeiten zu dürfen.
Wieso sollte man sich «Die Leiden des jungen Werthers» am Luzerner Theater ansehen?
Ich glaube, dass wird hoffentlich ein Abend ganz wie der Werther selbst – poetisch, romantisch, albern, musikalisch, wütend, überbordend, tieftraurig, herzzerreissend . Wie Goethe sagen würde: «Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt».