Jürg Kienberger, Foto: Ute Schendel

10 Fragen an Jürg Kienberger

Schauspiel
14. September 2023

Musiker, Schauspieler und Sänger Jürg Kienberger ist als jüngstes Kind einer Hotelierfamilie durch das hauseigene Orchester mit Musik aufgewachsen. Der autodidaktische Musikspieler arbeitet seit vielen Jahren an grossen wie kleinen Theatern, kreiert mit seiner Frau Claudia Carigiet Bühnenprogramme und komponiert Musik für verschiedenste Produktionen. Momentan steht Jürg Kienberger in «Orlando – eine Biographie» auf der Bühne – und uns im Interview Frage und Antwort.

Lieber Jürg, du bezeichnest dich selbst als «Musikspieler». Was ist das überhaupt?
Ich bin weder Musiker noch Schauspieler – oder eben beides. Ich spiele mit der Musik in dem Sinne, dass ich sie nie für sich alleine stehen lasse. Ich fädle andere Dinge über sie ein und kombiniere wild. Dabei entsteht immer auch Musik fürs Auge. In München sagt man ganz generell, ein Musikspieler ist einer, der Musik macht. Ich nehme das Spiel aber wörtlich. Musikspieler ist einfach der passende Begriff für mich.

Du bist von Kindesbeinen mit Musik aufgewachsen. Gibt es rückblickend eine Erfahrung, die dich besonders beeinflusst hat auf deinem Weg?
Mein prägendster Einfluss war die tägliche Begegnung mit Live-Musik, als ich als Kind in einem Hotel mit einem 3-Mann-Orchester aufgewachsen bin. Diese Gruppe hat Musik grossartig kombiniert, am Nachmittag schön klassisch gespielt, am Abend Jazz. Gleich nach der Schule habe ich ihnen heimlich zugehört und zugeschaut. Wenn der Pianist alleine gespielt hat, habe ich mich manchmal neben ihn gesetzt. Er hat mir gesagt, er werde pro angeschlagene Taste bezahlt und ich solle mal zählen, wenn er einen schnellen Ragtime spielt. Solche Momente waren bahnbrechend in meiner Entscheidung, Klavier spielen zu lernen.

Wie ist es zu deiner Verbundenheit mit dem Theater gekommen?
Über meine Frau. Ich habe Germanistik studiert und sie ging an die Schauspielschule. Trotz Germanistikstudium dachte ich immer, ich will mal etwas mit Musik machen. Ich wollte aber weder ans Konservatorium noch an die Jazz-Schule – bloss nicht acht Stunden Musik machen, die Freude würde mir vergehen. Das Theater mit seiner Verbindung von Wort, Musik und Bewegung war die Kombination, die meinen Wünschen entsprach und die ich nun ausübe.

Du arbeitest freischaffend an verschiedensten Theaterhäusern. Was hat dich an der Arbeit am Luzerner Theater gereizt?
Ich kenne Luzern vom Kleintheater. Zusammen mit meiner Frau entwickle ich Soloprogramme und habe zwei davon dort uraufgeführt: «Ich Biene – ergo summ» und «Ich bin zum Glück zu zweit». Am Luzerner Theater habe ich nur einmal an einer Saisoneröffnung etwas Kleines auf die Bühne gebracht, sonst bin ich noch nie hier aufgetreten. Die Anfrage von Corinna von Rad, der Regisseurin von «Orlando», war eine wunderbare Gelegenheit, beim Luzerner Theater mitzumachen.

Du bist einer der vier Performer*innen in der Produktion «Orlando», einer Geschichte von Virginia Woolf über einen plötzlichen Geschlechterwechsel. Welche Beziehung hast du zu diesem Werk aufgebaut – oder bereits gehabt?
Dieser Text von Virginia Woolf ist mir vorher noch nie begegnet, auch wenn ich etwas Anglistik studiert habe. Ich bin begeistert von der Übersetzung von Melanie Walz. Nebst den Themen haben mich die Worte und die Erzählweise sofort gepackt: Der Text beinhaltet eine Musikalität, die ganz schön inspirierend ist. Ich kann hier aus dem Vollen schöpfen.
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Gleichzeitig bist du der Musikalische Leiter bei «Orlando». Was kannst du uns über die Musik im Stück erzählen?
Dadurch, dass die Geschichte während vier Jahrhunderten spielt, eröffnet sich mir eine grosse Chance. Man kann in den Epochen springen, das gefällt Corinna und mir wahnsinnig gut. Wir verbinden Musik, bei der man sich sonst fragen muss, ob man das darf: Kann man einen Beatles-Song anschliessen an ein schönes klassisches Werk aus der alten Zeit? Das funktioniert, wenn man so ein tolles Ensemble ist. Wir sind alle vier sehr musikalisch und singen gut, der Gesang ist sehr wichtig. Auf der Bühne wird es eine Glasharfe, einen Flügel und viele Stimmen geben.

Du stehst regelmässig als Schauspieler auf der Bühne, auch bei «Orlando». Was ist besonders an deinen Rollen in diesem Stück?
Meine Schauspielrollen in «Orlando» sind vielfältig: Ich bin Erzähler, Musiker, ein angeberisches Mitglied eines viktorianischen Lesekreises, eine Art Dürrenmatt-Figur – und ganz kurz Queen Elizabeth. Auch hier macht das Springen Spass. Ich habe grosse Freude daran, mehr als eine Figur zu verkörpern. Weil ich autodidaktisch zu diesem Beruf gekommen bin, schöpfe ich aus mir selbst. Es ist ein Leid und eine Freude, dass man immer bei sich selber sucht. Ich kann und will nicht jemand ganz Anderes sein, es schimmert immer zwangsläufig etwas Jürg durch.

Du trittst in ganz verschiedenen Konstellationen auf, alleine, im Duo, in grossen Produktionen oder hier in einem kleinen Ensemble. Was gefällt dir daran?
Das Ensemble von «Orlando» ist ein schöner Fall, weil wir uns sehr gut ergänzen und mögen. Wir schauen, dass alle vorkommen und führen keine Kämpfe darum, wer mehr hat. Man kann sich die Bälle gegenseitig zuspielen. Dieser Austausch bei «Orlando» macht mir grosse Freude.

Bei «Orlando» arbeitest du mit der Regisseurin Corinna von Rad zusammen, mit der du schon diverse Projekte umgesetzt hast. Wieso funktioniert eure Zusammenarbeit so gut?
Wir haben eine ähnliche Auffassung von Humor und wie wir ihn zeigen, treffen uns gut in der Gratwanderung von lustigen und berührenden Momenten. Manchmal kann nach vielen gemeinsamen Arbeiten das Interesse abflauen oder man macht immer dasselbe. Corinna aber ist immer noch sehr interessiert daran, meine Fähigkeiten aus mir herauszulocken – sie kann das auch sehr gut. Zudem lässt sie viel Fantasie von uns Spielenden zu und lässt sich gerne inspirieren, das ist sehr wertvoll. Wir können Verantwortung übernehmen und sind wirklich beteiligt an dem anspruchsvollen Prozess, aus einem Roman ein Theaterstück zu machen. Sich auf einen solchen Weg zu begeben, klappt mit Corinna sehr schön. Ich könnte mir auch eine weitere Zusammenarbeit vorstellen.

Wieso sollte man sich «Orlando» am Luzerner Theater ansehen?
Wenn man die Geschichte kennt, wird man sich freuen über die Konstellation und die Musikalität des Abends. Man kann eintauchen und wird vieles erkennen. Wenn man sie nicht kennt, glaube ich, wird man nachher gleich die Übersetzung von Melanie Walz kaufen und lesen wollen. Wir bleiben nahe beim Wort, es wird viel erzählt. Dazu kommt das Hauptthema Mann und Frau, wie sich jemand von einem Geschlecht ins andere verwandelt und beide Seiten wahrnimmt. Es ist ein riesiges Thema, war es schon immer. Vor allem aber sind wir ein tolles Team. Uns zuzuschauen würde auch mich freuen und inspirieren.