Lida Doumouliaka

Choreografin

Die noch junge griechische Künstlerin stammt aus Athen. Sie wurde in einem vielseitig kunstinteressierten Elternhaus gross, wodurch sie früh mit einer ganzen Fülle an Kunsteindrücken vertraut gemacht wurde. Sie erlernte selbst mehrere Instrumente und sang. Dass sie sich letzten Endes jedoch für ein Tanzstudium entschied, hatte ihren Ursprung in einem Erlebnis noch während ihrer Schulzeit, als sie mit 13 Jahren eine Choreografie für das heimische Kulturfest erstellen sollte. 2013–16 absolvierte sie eine professionelle Tanzausbildung an der Staatlichen Schule für Tanz in Athen. Doch statt darauf eine langjährige Bühnenkarriere einzuschlagen, für die sich die meisten Tanzschaffenden zunächst entscheiden, entschloss sich Lida Doumouliaka, früh in die Choreografie zu wechseln und erneut zu studieren: Sie zog nach Zürich, wo sie von 2020–22 eine Masterausbildung an der ZHdK absolvierte, die sie mit dem MA Dance, Choreography erfolgreich abschliessen konnte.

«Spring of Rites», das von TanzLuzern im Rahmen der Tanzproduktion «Exploration of Energy» uraufgeführt wird, ist die erste Arbeit, die sie für eine Tanzcompagnie an einem produzierenden Theater erstellt.

Liebe Lida, du stammst aus Griechenland und bist in Athen aufgewachsen. Was waren deine ersten Berührungspunkte mit Kultur?
Meine Eltern arbeiten beide im Kulturbereich und ich war schon früh von Musik und kulturellem Leben umgeben. Ich habe klassisches Klavier, Gitarre und schliesslich Kanun, eine Art türkische Zither, gelernt. Auch gesungen habe ich viel. Ich hörte oft traditionelle griechische, aber auch viel klassische Musik: Meine Klavierlehrerin hat mich mit einem grossen Spektrum an Werken aus der gesamten Musikgeschichte bekannt gemacht, mich immer wieder zu Konzerten mitgenommen und mich ermutigt, selbst zu komponieren. Sie und ihr Unterricht waren wirklich wichtig für mich und spornten mich an.

Wie bist du trotz diesem starken Fokus auf die Musik im Tanz gelandet?
Ich hatte als Kind in der Nachbarschaft ein paar Ballettlektionen besucht, fand die aber langweilig und habe daher wieder aufgehört. Den wirklichen Anfang meiner Tanzkarriere machte ein Ereignis im Gymnasium: Als ich etwa 13 Jahre alt war, fragte mich meine Gymnastiklehrerin, ob ich für unser Kulturfest mit Schüler*innen eine kleine Choreografie planen könnte. Sie wusste von meinem musikalischen Background und dass ich mit Freundinnen ein bisschen HipHop tanzte. Das machte ich dann, es folgten ein paar weitere Arbeiten in die Richtung. Mit 15 stand mein Entschluss fest: Ich wollte Choreografin werden.

Das ist ungewöhnlich, denn bei den meisten Tanzschaffenden steht am Anfang ja erstmal der Wunsch, Tänzer*in zu werden. Bei dir stand schon immer die Choreografie als Ziel im Fokus?
Genau. Aber ich habe natürlich erst Tanz studiert. Ich habe mich informiert, welche Ausbildungsmöglichkeiten es gibt und bin mit 15 Jahren an die National School of Dance gegangen. Ich habe Ballett, Contemporary und Graham Technik gelernt. Das fand alles in der Freizeit statt, nach der Schule ab etwa 15.00 Uhr bis in den Abend.

Hast du während dieser Zeit auch die Tanzszene in Athen aktiv verfolgt?
Ja, ich habe zum Beispiel alle Compagnien gesehen, die auf ihren Tourneen zu uns kamen. Eine ganz frühe Inspiration war Akram Khan aus Grossbritannien. Mich beeindruckte auch das NDT, besonders aber die Martha Graham Dance Company – ich würde viel dafür geben, diese Künstlerin nur eine einzige Stunde in einer Probe erleben zu können!

Direkt im Anschluss an deine Ausbildung zur Tänzerin hast du weiterstudiert und ein Masterstudium in Choreografie absolviert. Wie kam es dazu?
Ich stand erneut vor der Entscheidung zwischen Musik und Tanz, als ich sowohl die Aufnahmeprüfung an der ZHdK für den Master in Choreografie bestanden habe, als auch die für die Musikhochschule in Griechenland. Die Covid-Pandemie gab mir die Ruhe, um sorgfältig zu überlegen, welchen Weg ich einschlagen sollte. Ich habe mich dann endgültig für die Choreografie entschieden. Zürich bot genau das Curriculum, das ich suchte. Zudem habe ich in der Schweiz Familie – zwar mehrheitlich in Lausanne, trotzdem fühle ich mich dem Land nah und verbunden. Es passte also alles und diese Ausbildung waren die besten beiden Jahre meines Lebens.

Hast du während deinem Studium auch die Schweizer Tanzszene kennengelernt?
Ja, das wird sehr gefördert. Die Dozierenden unterstützen unsere Entdeckungszüge und helfen bei der Vernetzung. Ich habe viele unterschiedliche Menschen der Tanzwelt getroffen. Das hat mir sehr dabei geholfen, mich selbst einzuordnen, zu verstehen, wo ich mich künstlerisch befinde und wo ich hinwill.

Bei «Exploration of Energy» wird dein Werk «Spring of Rites» präsentiert. Wie bist du die Kreation von deinem neuen Stück angegangen?
Ich habe viele Teile der Choreografie sehr weit im Voraus vorbereitet. Es brauchte Zeit, die Partitur genau in Körpersprache umzusetzen. Es gibt aber auch Teile, in denen sich die Tänzer*innen selbst kreativ verwirklichen sollen. Dafür gab ich ihnen eine ganz bestimmte – vor allem musikalische – Struktur vor, auf der sie ihre Phrasen aufbauen konnten.

Wie hat dir Strawinskys Partitur bei der Vorbereitung geholfen?
Die Partitur war für mich immer der Ausgangspunkt. Für mich war es wichtig, in jedem Moment genau zu verstehen, was in der Komposition passiert, um jeweils entscheiden zu können, wie ich sie verwenden will. Manchmal habe ich mich genau an die Zählzeiten gehalten, manchmal habe ich auch versucht, die Musik zu singen oder sie auswendig zu lernen. Ich versuche, mich der Musikalität durch die Bewegung zu nähern. Die schwierigste und interessanteste Aufgabe war für mich die Weitergabe dieser Prozesse an die Tänzer*innen. Ich wollte, dass auch sie die Musik in ihrer Essenz verstehen und sich dadurch auch sicher genug fühlen, sie auf der Bühne mittels Tanz wiederzugeben.

Die Choreografie macht die Partitur jetzt förmlich sichtbar. Wie überträgt man die Energie, die der Musik innewohnt, in Tanz?
Ganz am Anfang hatte ich für mich bestimmte Regeln festgelegt, mittels derer ich die Musik in die Körpersprache übertragen wollte. So spiegelte ich die Rhythmen in Schritten, die Melodien werden vor allem durch die Oberkörper interpretiert, grössere Intervallsprünge in der Musik geben den Impuls für physische Sprünge auf der Bühne. Das war sozusagen der Werkzeugkasten, den ich zusammenstellte. Anschliessend schloss ich die Augen und habe versucht, mir die einzelnen Phasen der Musik vorzustellen: Welche Bilder entstehen vor meinem inneren Auge angesichts dessen, was ich fühle? Wie viele Menschen sehe ich in den verschiedenen Szenen und was machen sie? So fügte sich nach und nach erst einmal eine choreografische Struktur für die gesamte Choreografie zusammen. Das half mir sehr, denn dieses Gerüst konnte ich dann Szene für Szene mit Inhalt füllen, indem ich anhand der oben genannten Regeln und Methoden die Schritte erfand.

Du hast nie vorgehabt, mit deinem Stück die Geschichte zu erzählen, die Strawinskys Partitur zugrunde liegt. Gibt es trotzdem etwas, das die Choreografie dem Publikum erzählt und das über die reine Bewegung hinausgeht?
Mein Tanzstück vermittelt sicher keine neue Version der Geschichte. Trotzdem glaube ich, dass ich die Musik in ihrem Kern respektiert habe. Durch meine Vorgehensweise ergibt sich also fast automatisch auch eine kohärente Erzählung in meiner Choreografie. Wenn ich mich in die Rolle des musikliebenden und -kennenden Publikums hineinversetze, dann würde ich sicherlich Vertrautes entdecken. So oder so ist es wahrscheinlich gar nicht möglich, dieses Stück zu choreografieren, ohne dass man die Geschichte im Hinterkopf hat – und ohne dass die früheren berühmten Interpretationen der Partitur schwer auf den Schultern wiegen.

 

Auszug aus einem Gespräch zwischen Lida Doumouliaka und Tanzdirektorin Wanda Puvogel

Lida Doumouliaka