10 Fragen an Valentin Köhler
Valentin Köhler ist seit 2012 als freischaffender Bühnen- und Kostümbildner tätig. Seine Projekte für Schauspiel und Oper führten ihn an verschiedenste Häuser im deutschsprachigen Raum, wo er mit diversen Regisseur*innen zusammenarbeitete. Ausserdem ist er Teil des Musiktheaterkollektivs AGORA und als Dozent in Basel und Zürich tätig. Seit der Spielzeit 2021/22 ist er Hausszenograf am Luzerner Theater, wo er auch die Akademie «Reflektor» leitet.
Lieber Valentin, wie ist es zur Weiterverarbeitung des Materials aus dem Bühnenbild zu «Das Bildnis des Dorian Gray» von Bettina Pommer gekommen?
In meiner Funktion als Hausszenograf hatte ich schon früh den Entwurf zur Bühne von «Das Bildnis des Dorian Gray» gesehen. Der Raum war ausserordentlich spannend und vor allem das Material inspirierend. Ich habe intuitiv sofort damit angefangen, in meinem Kopf mit dem eingesetzten Spiegel-Material herumzuspielen. Der Raum explodierte förmlich vor meinen Augen und setzte sich neu zusammen. Angesichts des Potentials dieses Bühnenbilds habe ich also angeregt, dass man es nach der letzten Vorstellung von «Dorian Gray» aufbewahrt. Ausserdem erkundigte ich mich, ob es Bühnenbildnerin Bettina Pommer recht wäre, wenn wir Teile des Materials bei einer zukünftigen Produktion neu verwenden würden. Dankenswerterweise erhielt ich ihre Zustimmung.
Wie war es für dich, mit etwas bereits Bestehendem zu arbeiten?
Für meinen eigenen Entwurf war es zentral, dass bei der Wiederverwendung der vorhandenen Elemente etwas völlig Neues, Eigenständiges entstehen sollte. Da bei der Neugestaltung auch die Sparte von Schauspiel zu Tanz wechselte, die ganz andere Erfordernisse mit sich brachte, ergab sich das allerdings fast automatisch. Hilfreich war auch, dass ich abgesehen vom vorhanden Material grosse Freiheit hatte, weil die Tanzproduktion eine Uraufführung ist, für die alles neu entsteht.
Trotzdem ist es doch eine ungewöhnliche Idee, Bühnenbildelemente eines Stücks für ein anderes wiederzuverwenden. Gab es auch einen inhaltlich-künstlerischen Anstoss dazu?
Wenn es eine Musik gibt, die zum Spielen mit der Form schon im Titel ausdrücklich auffordert, dann sind es die «Goldberg-Variationen» von Bach! Sie sind eine echte Steilvorlage für einen solchen Prozess der Variation.
Bühnenbilder für den Tanz müssen vor allem sicherstellen, dass die Tanzenden auf der Bühne genügend Platz haben. Das Bühnenbild von «Dorian Gray» in seiner originalen Form war das genaue Gegenteil. Was für eine Bühne hast du aus dem Material entwickelt?
Genau wegen dieser Herausforderung hat mich der Wechsel der Sparte auch so gereizt. Durch die Spiegel als Material suggerierte die Bühne Platz. Zudem haben wir den Raum «flach» gemacht und beweglich. Mich interessierte, anhand der Elemente herauszufinden, was genau Platz für den Tanz eigentlich heisst. Spiegel laden fast zwangsläufig dazu ein, den Raum zu hinterfragen. Zudem kann man wunderbar damit spielen, dass aus einer Person gleich mehrere werden. Wo bewegt sich wer? Was ist echt und was nur Abbildung? Was bedeutet bei Spiegeln das «Davor» und das «Dahinter»? Bei der Untersuchung dieser Fragen genoss ich, wie sich die Bestandteile auf überraschende Weise neu denken liessen, wie der ganze Raum förmlich in Bewegung geriet.
Wie entwickelte sich die Zusammenarbeit mit der Choreografin Alba Castillo?
Wir haben uns früh ausgetauscht und zusammen diskutiert, welche Möglichkeiten im Bühnenbild steckten, wie Raumgestaltung und Tanz miteinander verwoben werden könnten und ob es allenfalls noch zusätzlicher Elemente bedarf.
Ein wesentlicher Grund für die Idee, das Material eines Bühnenbilds neu zu verwenden, ist natürlich jener der Nachhaltigkeit. Was bedeutet das Thema für die Bühnenkünste?
Nachhaltiges Arbeiten umfasst ganz Unterschiedliches. Neben der Wiederverwendung von vorhandenem Material kann das zum Beispiel auch heissen, insgesamt weniger Ressourcen zu verwenden – oder umweltverträglichere. Da sind wir als Theater gefordert und es gibt laufend neue Erkenntnisse und Diskussionen. Als Künstler interessiert mich aber vor allem die kreative Ebene: Was löst das Bestreben nach Nachhaltigkeit in mir aus? Neben dem rein räumlich-technischen Aspekt war für mich also mindestens genauso wichtig zu untersuchen, inwiefern ein solcher Ansatz Einfluss auf den künstlerischen Prozess nimmt und ihn verändert.
Nachhaltiges arbeiten muss also nicht eine Einengung der künstlerischen Freiheit bedeuten, sondern öffnet auch Türen, die man auf hergebrachtem Weg nicht gefunden hätte?
Das ist richtig. Wenn ich für die «Goldberg-Variationen» wie üblich kreiert hätte, wäre ganz sicher ein völlig anderes Bühnenbild entstanden! Der vorhandene Raum hingegen, die Idee, ihn explodieren zu lassen, löste eine bestimmte Assoziationskette aus: Der Ansatz führte zur Beweglichkeit der Wände, zu dem neu gebauten Plafond, mit dem sich sogar der Boden spiegeln lässt. Das wiederum brachte Alba auf den Gedanken, den Boden selbst zu öffnen und Tänzer*innen von unten aufsteigen zu lassen, auszuprobieren, wie sich das Erlebnis verändert, wenn sich Tänzer*innen spiegeln, die gar nicht auf der Bühne sind... Hauptziel war dabei durchgehend, einen passenden «Goldberg»-Raum zu kreieren, wenn auch unter möglichst ressourcenschonenden Bedingungen. Man darf dabei nicht zu dogmatisch vorgehen, letzten Endes müssen die Entscheidungen aus künstlerischen Gründen getroffen werden.
Was sind eigentlich die Grundthemen, wenn Nachhaltigkeit im Theaterkontext angestrebt wird?
Nicht alles können wir leicht und kurzfristig verändern. Grossen Einfluss auf den Fussabdruck eines Theaters hat zum Beispiel die Art und Weise, wie das Publikum zu den Vorstellungen anreist. Das aktuelle Theatergebäude verfügt nicht über Seiten- und Hinterbühnen, auf denen man Bühnenbilder von laufende Produktionen zwischenlagern könnte. Das führt zu vermehrten Transporten. Im geplanten Neubau soll das anders werden, um effizienter arbeiten zu können. Auch fehlt langfristiger Lagerplatz, um mehr Ressourcen aufbewahren zu können.
Trotz all dieser Punkte muss man natürlich auch die künstlerischen Prozesse überdenken. Ich selbst finde es hilfreich, mich bei ausgewählten Produktionen auf jeweils einen Aspekt zu fokussieren. Dieser bestand diesmal in der Weiterverwendung von Vorhandenem: Wir kauften ausserdem auch keinen neuen Tanzboden, sondern nutzen einen existierenden. Es wurden weitestgehend Elemente der abgespielten Produktion benutzt, lediglich der runde Plafond und die Passepartout-Wand wurden völlig neu gebaut. Am Luzerner Theater gibt es eine grosse Offenheit gegenüber diesem Themenbereich, wir sind wirklich bereit, mit bereits benutztem Material zu arbeiten. Das ist weniger selbstverständlich, als man denkt, denn es verursacht oft mehr Arbeit.
Gab es auch besondere Vorteile durch die Weiterverarbeitung?
Wir erhielten bereits früh einen konkreten Eindruck des Bühnenbilds, da viele endgültige Bestandteile sehr schnell zur Verfügung standen. Das machte auch einen gewaltigen Unterschied für die Entwicklung der Choreografie. Normalerweise entsteht das Bühnenbild in den Werkstätten parallel zu den Proben im Tanzstudio. Erst in den Endproben auf der Bühne kann man damit arbeiten. In diesem Fall konnten die Choreografin und das Ensemble bereits im Tanzstudio mit den originalen Spiegelwänden kreieren, was manches überhaupt erst möglich machte. Unser Vorgehen beinhaltet sicher nicht die Lösung aller Probleme, hat in diesem Fall aber wirklich viele Vorteile gehabt. Und ich glaube, alle Beteiligten lernen anhand solcher Erfahrungen, wie zukünftig Bühnenbilder geplant und gebaut werden könnten und welche Abläufe notwendig sind, um nachhaltiges Arbeiten weiter zu fördern.
Um ein Fazit zu ziehen: Was empfindest du als wesentlichen Unterschied zwischen dieser Produktion und solchen, bei denen du beim Entwurf einer Bühne von Null anfängst?
Zunächst bewegte ich mich trotz meiner vielfachen Beschäftigung mit nachhaltigem Arbeiten im Theater auf ungewohntem Terrain. Ich spürte aufgrund der anderen Produktionsabläufe, dass ich tatsächlich eine etwas andere Beziehung zu diesem Raum habe, was ich allerdings weder positiv noch negativ meine. Vielleicht ist es mit einem Adoptivkind vergleichbar: Am Schluss ist die Liebe nicht weniger gross, aber der Prozess dorthin ist ein anderer. Insgesamt erlebte ich diese Arbeit als eine enorme Bereicherung.
ausgehend von einem Interview zwischen Valentin Köhler und Wanda Puvogel